Lehrstuhl für Geologie
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Meeresgeologischer Kurs in Roscoff / Bretagne 2009

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Rückblick von Katharina Döhler

Kompaktkurs an der Station Biologique de Roscoff, an der Nordküste der Bretagne, für Studierende und Wissenschaftler aus den Bereichen Geologie, Paläontologie, Geographie, Biologie und Vor- und Frühgeschichte

Thema: Sedimentäre und geobiologische Interaktionen im Makrotidal der Bretagne

Gemeinschaftsveranstaltung der Philipps-Universität Marburg und der Ludwig-Maximilians-Universität München

Leitung: Profs. M. Amler, K.-W. Tietze und W. S. Vogler

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Karte Bretagne

1 Roscoff

Kompaktkurs Roscoff: das bedeutet weit mehr als eine normale Exkursion in die Bretagne. Nach einer nicht enden wollenden Anreise von 14 Stunden quer durch Frankreich gelangt man endlich an den nordwestlichen Zipfel, der felsig in den Atlantik ragt. Roscoff liegt am Nordrand des Départements Finistère, nördlich von Morlaix.

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Station Biologique vom Meer

 

Die Station Biologique von Roscoff, der Standort des Kurses, befindet sich direkt am Meer, zum Teil in Gebäuden, die aus dem 19. Jahrhundert stammen, und besitzt einen wunderschönen Innenhof, den man schon fast als botanischen Garten bezeichnen kann.

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Labour Party

 

Dreh- und Angelpunkt der Arbeiten in und um Roscoff wird diese Station sein, in der Vorlesungen, Vorbereitungen für Exkursionen, gemütliche Abende, aber auch arbeitsintensive Nächte während der Projektarbeit stattfinden. Die Unterkunft in 1-3 Bett-Zimmern ist für studentische Bedürfnisse fast schon Luxus, man hat sogar wireless LAN im gesamten Bereich der beiden Hotels und der Station. Das Frühstück dagegen ist nach spätestens einer Woche Baguette recht fad, aber die Tagesabläufe sind so geplant, dass man immer genügend Zeit zum Einkaufen hat. Je nach Tagesprogramm besteht die Möglichkeit, auch an den Mittagessen sowie an den Abendessen der Station teilzunehmen – dabei sollte man aber definitiv Fisch und Meeresfrüchte mögen und kein Vegetarier sein!

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Moule mariniere

 

Trotz allem ist Roscoff kein Urlaub: die Tage sind strikt durchgeplant, man hat immer ein volles Programm: ab 7:00 Frühstück, danach Exkursionen, Vorlesungen, Kartierungen, Projektarbeiten und Präsentationen der Arbeiten. Zeit zum Kennenlernen der anderen Studenten und der Dozenten, Durchschnaufen, Schwimmen, auf der Mole den Sonnenuntergang genießen und dazu – ganz französisch – Rotwein trinken, bleibt aber dennoch.

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Mole Entspannung

2 Sedimentologie / Quartärgeologie

Die Bretagne bietet hervorragende Möglichkeiten, Quartärgeologie an Ort und Stelle zu erkunden. Durch den Wechsel von Warm- und Kaltzeiten schwankte der Meeresspiegel im Quartär zum Teil bis zu 160 m und hat diverse geologische Besonderheiten überliefert. Zeugen der Klimaschwankungen des Quartärs sind z.B. Brandungskliffs in 40 m Höhe über dem heutigen Meeresniveau, fossile Geröllstrände, Brandungshohlkehlen, Spuren der Erosion durch Wellenschlag in 25 m Höhe oder fossile Dünen im Landesinneren.

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Quartärprofile

 

Auch unter heutigem Meeresniveau findet man diese Zeugen. Mit dem Echolot kann man alte Kliffe, Geröllstrände und die alten Flussbetten der Themse, des Rheins und der Maas weit auf den Schelf verfolgen. Während Zeiten niedriger Meeresspiegelstände konnten sich die Flüsse auch auf dem heutigen Festland tief in den Untergrund eingraben und haben tiefe Rinnen hinterlassen, die teilweise mit Sedimenten gefüllt wurden oder heute noch als Ästuare aktiv sind, so z.B. die Ästuare der Flüsse Guillec oder Penzé.

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Ästuar Penze

 

Die ehemalige Klifflinie des Holstein-Warmzeit Meeres lässt sich in der gesamten Bretagne verfolgen: Man trifft auf Relikte sowohl im Hinterland, wie z.B. Strandgerölle auf den Äckern des Plateaus von Leon, aber auch direkt an der heutigen Küste, z.B. am Strand von Kersaliou (fossile Strände) oder an der Pte de Primel. Dort findet man in den bizarren Erosionsformen des Granits komplett runde „Brandungsstrudeltaschen“ und Hohlkehlen in mehr als 20 m Höhe.

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Pointe de Primel

 

Neben den direkten Zeugen fossiler Küsten findet man auch in anderen Sedimenten Strukturen vergangener Klimate. So z.B. kann man bei Toul Louarn Strukturen eines Permafrostbodens entdecken. Die Bretagne war in der letzten Eiszeit eisfrei, der Boden stand jedoch unter Permafrost. Dadurch kam es u.a. zur Deformation durch Kryoturbation (Fließbewegungen im Sediment durch Tau- und Gefrierereignisse). Auch fossile Dünen im Landesinneren können im Vergleich zu den heute aktiven an der Küste, z.B. bei Ker Emma oder Goulven, untersucht werden.

3 Zonierung des Gezeitenbereichs

Roscoff bietet hervorragende Möglichkeiten, die Flora und Fauna der Küste kennenzulernen. Egal, ob man die Ästuare der Gegend durchwatet, die direkt vor Roscoff liegenden „Abers“, den Bereich zwischen Roscoff und der Ile de Batz oder die verschiedenen Strände der Gegend: Nicht nur trockene Vorlesung, sondern immer der direkte Bezug zur Materie (egal ob rezent oder fossil), das macht den Kompaktkurs Roscoff aus.

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Schnecken-Seife

 

Man kann die Tiere des Litorals in ihrem Lebensraum untersuchen und das, was man in der Paläontologie an Merkmalen der Fossilien gelernt hat, direkt anwenden. Direkt vor der Station Biologique Roscoff kann man zu Fuß die Zonierung eines klassischen Gezeitenbereichs studieren. Eine Wanderung durch den Aber de Roscoff zur Ile Verte bei Niedrigwasser führt vom Supratidal (Spritzwasserzone) durch das Intertidal (Gezeitenbereich) bis an den oberen Rand des Subtidals.

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Phytal bei Niedrigwasser

 

Das Supratidal kann hier durch das Auftreten des Rinnentangs (Braunalge) von der Oberen Gezeitenzone abgetrennt werden. Auch die schwarze Flechte Verrucaria maura zeichnet diese Grenze nach. Anhand des Vorhandenseins von Seepocken, Patellen und Gastropoden kann die obere Gezeitenzone ebenfalls nach oben begrenzt werden.

Die Obere Gezeitenzone ist u.a. geprägt durch Spiral- und Blasentang (Braunalgen). In diesem Bereich kann man bei Niedrigwasser auch aus dem Sublitoral angetriebene Kelps finden. „Kelprafting“ findet man an den Küsten immer wieder: durch die Strömung werden Algen, angewurzelt an einen Stein, in das Eulitoral verdriftet und können mit dem Ebbstrom nicht wieder mitgenommen werden. Ein weiteres Phänomen im Zusammenhang damit sind Schleifspuren im Sand und „Dropstones“ (diese jedoch hauptsächlich im offenen Ozean und nicht durch Eisberge verursacht).

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Rotalgen

 

Die Mittlere Gezeitenzone lässt sich mit dem charakteristischen Sägetang und dem Knotentang (beides Vertreter der Braunalgen) gut erkennen. Auch häufig zu finden sind Ansammlungen von Patellen (Napfschnecken) auf dem felsigen Untergrund, inkrustierenden Rotalgen, Seeanemonen (Anemonia sulcata), Tunicaten (Manteltiere), Sternascidien, Seesternen, Moostierchen (Bryozoen) und der Beerentang (Sargassum muticum). Im unteren Bereich der mittleren Gezeitenzone findet man auch reichlich Grünalgen (Enteromorpha).

Die Untere Gezeitenzone ist im Aber de Roscoff gekennzeichnet durch eine vermehrte Ansammlung von Venusmuscheln, die typische Bewohner der sublitoralen Sande sind. Zu finden ist auch der Riementang, Seegras und Knorpeltang. Im Übergang zum Sublitoral ist der Fingertang (Laminaria digitata) mit üppigen Aufsiedlern (Epizoen) häufig.

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Laminarien

4 Geologie der Bretagne

Die geologische Geschichte der Bretagne beginnt weit vor dem Kambrium. Seit der Bildung des Superkontinents Rodinia vor ca. 1000 Ma lag die Bretagne aus plattentektonischer Sicht direkt am aktiven Kontinentrand. Dieser Zustand blieb während des Zerbrechens Rodinias vor ca. 750 Ma, im Vorfeld der panafrikanischen Orogenesen (700-550 Ma) und dem erneuten Zerbrechen Rodinias im Kambrium, erhalten. Mit dem Zerbrechen Rodinias öffnete sich der Iapetus Ozeans zwischen den Kontinenten Gondwana, Baltica und Laurentia. Dieser wurde sukzessive wieder subduziert und führte zunächst zur Kollision von Baltica und Laurentia und wenig später von Avalonia mit Laurentia (Kaledonische Orogenese, abgeschlossen ca. vor 400 Ma). Durch die im Karbon folgende Variszische Orogenese bildete sich der Superkontinent Pangäa. Mit dem Zerbrechen Pangäas entlang des atlantischen Grabenbruchsystems endete die Rolle der Bretagne als aktiver Kontinentrand. Seitdem liegt die Bretagne an einem passiven Kontinentrand im Westen Europas.

Zeugen dieser aktiven Zeit kann man in der ganzen Bretagne finden. Am Strand von Poul-Rodou kann man die verschiedenen Sedimente einer Tiefseerinne erkunden: neben Wechselfolgen aus klastischen und vulkanischen Gesteinen mit kalkalkalinem Chemismus findet man auch resedimentierte vulkanische Gesteine. Diese müssen von den Vulkanen, die im back-arc Bereich der Tiefseerinne entstehen, stammen und wurden nach ihrer Abtragung resedimentiert. Charakteristisch sind hier auch sogenannte „pebbly mudstones“: geröllführende Schlammsteine oder in größerer Dimension Olistolithe. Diese können auf die Hebung des Akkretionskeils zurückzuführen sein.

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Halbinsel Crozon

 

Im zentralen Bereich der Halbinsel Crozon liegen präkambrische Gesteine, die von einer altpaläozoischen Schichtfolge überlagert werden. Bei den präkambrischen Gesteinen handelt es sich um solche des aktiven Kontinentalrandes des Großkontinents Rodinia (Akkretionskeil). Auf der Rückseite des vulkanischen Rückens der ehemaligen Subduktionszone liegen altpaläozoische Gesteine in dessen Becken. Die Gesamtheit der Strukturen ist tektonisch verfaltet, und auch heute ist noch eine Sattelstruktur erkennbar, deren Achse nach Osten eintaucht. Während der alpidischen Orogenese erfuhr die Formation eine weitere Überprägung.

Neben der Hardrock-Geologie kann man auf Crozon aber auch fossile Sedimentstrukturen (vollständig erhaltene Rippelfelder im ordovizischen Armorikanischen Quarzit) oder Fossilien (Körper- sowie Ichnofossilien) finden.

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Crozon-Exkursion

 

An der Pte de Primel kann man anhand einer 5 m breiten Spalte auch Zeugen der alpidischen Orogenese studieren. Der Druck Afrikas auf Europa hat auch im äußersten Nordwesten des Kontinents noch seine Spuren hinterlassen.

5 Sedimentstrukturen und Kartierung

Roscoff bedeutet in besonderem Maße Sedimentologie: Eine besondere Gewichtung des Kurses erhalten die Strukturen, Mechanismen und Prozesse, die das Meer und die Küste produzieren. Die Nähe zum Atlantik, die besonderen Strömungsverhältnisse im Ärmelkanal und die vielen Orte, an denen man die Aktuogeologie studieren kann, sind hier einzigartig, zumal Roscoff und seine Umgebung von einem Tidenhub, der bis zu 9 m betragen kann, geprägt sind.

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Hafen Roscoff

 

Neben den physikalischen und prinzipiellen Grundlagen der Prozesse des Meeres und der Küste, wie z.B. die Gezeiten, damit einhergehende Wellenentstehung und –energien, werden auch diese Prozesse im Gelände genau untersucht: Es werden Profile durch Megarippeln oder bestimmte Bereiche des Strandes gegraben; die Sedimente genau klassifiziert und an aktuellen Beispielen – geschaffen durch den letzten Flut- bzw. Ebbstrom – die verschiedenen Strukturen von Stränden und Stromdeltas studiert. Mit diesen Erkenntnissen erkundet man dann auf den weiteren Exkursionen die Sedimentgesteine, interpretiert fossile Strukturen und diskutiert die mögliche Entstehungsweise.

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Sedimentstrukturen

 

Hauptstudier- und Exkursionsgebiet für diese Themen ist die Anse de Kernic, eine Gezeitenlagune, und ihr vorgelagerter Strand. Die Lagune wird durch eine Sandbarre vom offenen Meer abgetrennt und wird gezeitenabhängig mit Wasser gefüllt. Durch die besondere geographische Situation (sehr schmaler Einlass, durch den das Wasser ein- und ausströmen muss) entsteht in der Lagune ein Flutstromdelta mit Megarippeln, welches größer ist als das Ebbstromdelta außerhalb der Lagune. Durch die Verengung des Einlasses durch die Barre ist die Geschwindigkeit der einströmenden Wassermassen sehr hoch (Düsenstrahlprinzip), und es kann Material mit größerer Korngröße transportiert werden. Es handelt sich hier also um ein asymetrisches System: bei Flut werden die Sedimente durch den Tidestrom und die starke Wellenenergie in die Lagune transportiert, bei Ebbstrom nur durch den Tidestrom wieder heraus.

Im vorgelagerten Watt und auch bei zahlreichen anderen Exkursionen werden die verschiedenen Rippelformen und andere Sedimentationsstrukturen des Wassers und der Wellen untersucht.

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Kartierung-Peilen

 

Eines der Hauptprojekte des Kurses Roscoff ist die Kartierung des Watts vor der Anse de Kernic und des Flutstromdeltas: diese Momentaufnahme zeigt in Gemeinschaftsarbeit eine einmalige, nur für die Dauer einer Tide bestehende Sedimentstruktur einer Hochenergieküste.

Und mal ehrlich: wann wird man je wieder in Badehose und Bikini kartieren?

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Münchner Gruppe 2009